Die seltene Spezies der selbstgesteuerten Lerner

Wissen Sie wie viel Zeit der durchschnittliche Mitarbeiter pro Woche in Ihrer Organisation für Lernaktivitäten einsetzt? Ist diese Zeit ausreichend, um aktiv neue Fähigkeiten zu erlernen und kontinuierlich Möglichkeiten zur Verbesserung von Prozessen und Leistung zu identifizieren? Wenn ja, dann gratuliere ich Ihnen sehr herzlich! Lassen Sie uns von Ihren Strategien und Praktiken lernen! Wenn nein, herzlich willkommen im Club! Viele Unternehmen weltweit scheitern daran die Qualifikationslücken zu schließen. In einer von PwC global durchgeführten Umfrage gaben 55 % der befragten CEOs an, dass es in ihrer Organisation nicht möglich ist effektiv Innovationen zu entwickeln und 47 % meinten, dass es ihnen nicht möglich ist exzellente Customer Experience zu schaffen, weil jeweils die dafür notwendigen Qualifikationen im Unternehmen fehlen.

Die Analysten von Forrester schätzen, dass etwa 10 bis 20 % der Gesamtarbeitszeit erforderlich sind, um kontinuierlich neue Qualifikationen zu entwickeln und daraus Prozesse und Leistung zu verbessern. In einer Welt, die von Veränderungen geprägt ist, ist es erforderlich, dass Unternehmen Lernen als einen kulturellen Wert festlegen. Lernen ist dann ein wesentliches Element der täglichen Arbeit und nicht eine isolierte Funktion, die Arbeitszeit wegnimmt und schlussendlich als unerledigter Task Woche für Woche sein Dasein fristen muss. Lernende Organisationen verstehen, dass Innovation sowohl Versuch und Irrtum als auch die Reflexion der Ergebnisse erfordert, wofür Mitarbeiter und Teams Zeit aufwenden müssen. Dass ein Reboot aktueller Lernstrategien erforderlich ist, zeigt auch die Tatsache, dass die meisten Berufsbiografien heutzutage durch die Notwendigkeit kontinuierlicher Weiterqualifizierung geprägt sind. Menschen benötigen daher die Möglichkeit und Unterstützung, während der gesamten Lebensspanne zu lernen. Auch die Heterogenität der Lerner steigt und Vorkenntnisse sowie Anforderungen werden unterschiedlicher und spezieller. Fremdgesteuerte Lernangebote werden meist diesem individuellen Lernbedarf nicht gerecht.

Der selbstgesteuerte Lernprozess hingegen ist ausgehend von den persönlichen Vorkenntnissen, Fähigkeiten, Bedürfnissen und Ressourcen des Einzelnen gedacht. Der Lerner übernimmt die „Ownership of Learning“. Selbstgesteuertes Lernen beschreibt den Grad der Freiheit, den ein Lerner bei der Wahl und Gestaltung der Elemente und Rahmenbedingungen des Lernprozesses hat. Es wird angestrebt den Lernenden möglichst viel Freiraum und Autonomie in der Definition der Ziele, der Auswahl von Inhalten, Ressourcen, Methoden, Monitoring und Evaluation, Partner, Pfade, Zeiten und Orte des Lernens sowie Integration in die Arbeitspraxis zu geben. Die Selbstlernkompetenz wird gerade in fachlich hochspezialisierten Bereichen zu einer Basiskompetenz, um in einer schnell veränderlichen Arbeitswelt Leistung zu erbringen, aber auch Perspektiven und Motivation zu halten (siehe Agiles Lernen für zukunftsorientierte Unternehmen).

 

Wie können Sie nun den Nährboden für selbstgesteuertes Lernen schaffen? Hier einige erste Anregungen dazu:

  1. Schrauben Sie an Ihren täglich gelebten Lernpraktiken und fördern Sie die Selbststeuerung gezielt. Es ist wesentlich, dass die Lerner ausreichend Feedback erhalten und einholen können, zur Entwicklung der Selbstlernkompetenz kompetente Begleitung und Expertenhilfe erhalten, aber auch die erforderliche Freiheit und das Vertrauen gegeben sind.
  2. Etablieren Sie eine Coaching-Kultur. Führungskräfte sind der Schlüssel zur Schaffung von Verbindlichkeit für Lernaktivitäten. Coaching ist die Schlüsselfähigkeit von Führungskräften, die eine Lernkultur untermauert. Indem sie Zeit für Gespräche über aktuelle Fähigkeiten, Karriere Bestrebungen und Lernstrategien schaffen, entwickeln Manager und Mitarbeiter eine starke Partnerschaft des Lernens.
  3. Schaffen Sie einen Ermöglichungsrahmen. Es bedarf einer Kultur des Lernens bis hin zur technischen Unterstützung, Möglichkeiten zur Vernetzung und eine Breite in Formaten, Modulen und Tools beispielsweise zur Lerneinschätzung und Evaluierung.

Bitte unterliegen Sie nun nicht dem Irrglauben, dass selbstgesteuertes Lernen per se besser als geführtes Lernen ist. Es gibt Umstände, in denen ein klassisches strukturiertes Lernangebot sinnvoll und zielführender ist, aber gerade im betrieblichen Kontext gibt es gute Gründe um Lernen selbstgesteuert zu gestalten. Ein Vorteil ist die Geschwindigkeit. Einer Untersuchung von IBM zufolge, hat sich die Zeit, die benötigt wird, um eine Qualifikationslücke durch traditionelle Schulungen zu schließen, in den letzten vier Jahren mehr als verzehnfacht und ist von drei auf 36 Tage gestiegen. Ein anderer Vorteil ist: Top-Talente lieben lernen. Die besten und klügsten Köpfe suchen sich Unternehmen, die sie herausfordern und ihnen helfen, beruflich zu wachsen. Die Fähigkeit Ihrer Organisation, die gewünschten Talente und die benötigten Fähigkeiten für sich zu gewinnen und zu halten, hängt stark von Ihrer Unternehmenskultur ab.

Quellen:
Drive Organizational Adaptivity With A Future Fit Learning Culture, December 15, 2020
Lern doch, was Du willst!: Agiles Lernen für zukunftsorientierte Unternehmen von Vera Gehlen-Baum, Manuel Illi, BoD – Books on Demand