Service Design Regel Nr. 1 – Was kann schon schief gehen?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug unsere Weltgesamtbevölkerung 1.6 Milliarden Menschen. Im Jahr 2000 sind es bereits 6.1 Milliarden und derzeit nähern wir uns 8. Wir haben vernetzte Städte gebaut, globale Supply Chains, das Internet, einen mobile-first Ansatz in vielen Bereichen digitaler Interaktion, Social Media Plattformen und Blockchains. Jeden Tag versuchen 8 Milliarden Menschen ihren Alltag zu bewältigen, indem sie Dinge und Tätigkeiten durch andere erledigen lassen oder Mechaniken und Technologien aller Art verwenden, die von anderen bereitgestellt werden. Dies geschieht normalerweise im Zuge eines Service oder einer Serviceleistung. Diese kann analog, hybrid, digital, persönlich, standardisiert oder eine Kombination aus all diesen Eigenschaften sein.
Das Design dieser Services ist dabei ausschlaggebend für die Erfahrung, die ein User oder Kunde mit einem Unternehmen oder Produkt macht und besteht oft auf vielen Facetten, welche Mensch + Prozess + Technologie + Knowhow in unterschiedlichen Ausprägungen umschließt. Die Kombination und Betrachtung dieser unterschiedlichen Aspekte ist wichtig, um zu verstehen, was es auf den verschiedenen Ebenen braucht, um einen herausragenden Service zum Leben zu erwecken. Dabei werden Fragestellungen nach erforderlichen Technologien, dem Auftreten, der Sprache und Bekleidung der Mitarbeiter, als auch dem generellen Knowhow und Prozessen, die benötigt werden, bearbeitet. Service Design ist ein dabei ein interdisziplinärer Ansatz, der unterschiedliche Methoden und Tools verwendet. Das Kernelement: Der Kunde wird in den Vordergrund gestellt, um neue Services zu schaffen oder bestehende zu verbessern und damit Mehrwert zu generieren und folgt dabei 5 wesentlichen Prinzipien: Co-kreativ, prozessgeleitet, visualisieren, experimentierend und ganzheitlich.
Diese Gestaltung geschieht oft interdisziplinär entlang des „klassischen“ Service Design Prozesses mit der Hilfe diverser Methoden wie Personas, Value Proposition Canvas oder Service Blueprints (siehe Beispielbild). Um einen erfolgreichen Service zu gestalten, braucht es damit oft viel Fingerspitzengefühl und einen Blick für Details, um emotionale Momente gestalten zu können. Letzteres trägt laut einer PwC Studie bis zu 71% dazu bei, wie ein Kunde sein Erlebnis mit einem Unternehmen oder Produkt wahrnimmt und kann somit neben den beiden Säulen „Einfachheit“ und „Effektivität“ als ausschlaggebender Faktor innerhalb eines guten Service Designs betrachtet werden.

Abbildung: Service Blueprint
Welche Prinzipien sollte man bei der Gestaltung eines Service bedenken?
Egal um welchen Services es sich handelt, viele der nachfolgenden Prinzipien können als Anker und Checkliste dienen, um sich besser in die Situation und den Kontext der Kundensituation und Serviceinteraktion hineinversetzen zu können und damit ein gutes Service Design zu schaffen. Denn ein empathischer Zugang ist oft der Schlüssel, um sich vom Durchschnitt zum Besonderen zu erheben:
#Was kann schon schief gehen?
Oftmals werden Services und Interaktionen designed, ohne zu bedenken, was dabei schief gehen und die Kunden oder – besonders im digitalen Bereich – User, den Service brechen könnten. Im Bereich von usergenerierten Inhalten sollte man sich darum z.B. immer die Frage stellen: Wie einfach können vulgäre und anstößige Inhalte generiert und publiziert werden? (Falls Sie sich die Frage stellen: Ja, das wird immer eines der ersten Dinge sein, die Ihre User ausprobieren werden. Wir erinnern uns noch an das Microsoft Experiment mit dem Chatbot „Tay“, der aus Interaktionen mit echten Usern lernte und nach wenigen Tagen eine beeindruckende Menge an vulgärem und rechtsextremem Vokabular produzieren konnte). Aber auch: Wie kann mein Service überladen werden? Welche unbedachten Konsequenzen könnte mein Angebot mit sich bringen und wie gehe ich damit um?
#Kontext: Was geschieht vor und nach dem Service?
Services stehen nicht für sich alleine. Es gibt sowohl örtlich also auch zeitlich immer ein davor und danach und in eine Situation, in die unser Kunde eingebettet ist. Ist unser Kunde gestresst? Braucht er unmittelbare Hilfestellung? Was geschieht nach der Interaktion mit uns? Können wir nachfolgende Tasks für unsere Kunden einfacher machen, indem wir sie in unser Design integrieren? Sich über diese Dinge Gedanken zu machen, hilft oftmals anschlussfähig zu sein, und auch die eigenen Prozesse end-to-end zu designen. Dies schafft für den Kunden einen klaren Mehrwert und weniger Bruchstellen, die zu Frustration und Unmut führen können.
#Sie sind der Experte!
Oftmals sind unsere Kunden in der Flut an Möglichkeiten gefangen und können selbst für sich keine klare Entscheidung treffen, welches Produkt oder welche Kombination, die richtige für ihn oder sie ist. Helfen Sie in diesen Situationen Ihren Kunden im Zuge einer klaren Beratung und Empfehlung – nicht in einer reinen Produktpräsentation. Wir sind umgeben von Informationsfluten, welche unsere mentale Kapazität jeden Tag bis ans Äußerste ausreizen – jede Hilfestellung, die sie ihren Kunden geben können, hilft die Erfahrung der Interaktion einfach und effektiv zu gestalten.
#Betrachten Sie nicht nur Ihre Kunden, sondern auch die Begleitpersonen
Besonders im Design von physischen Services wird oft zwar der Kunden in den Fokus gestellt, jedoch häufig die „Begleitperson“ vergessen. Wie oft fehlen Plätze, an denen diese warten oder sich anderweitig beschäftigen können, und die damit erzeugte Spannung wirkt sich dann direkt auf unseren Kunden aus. Der „Wie lange dauert das noch“ – Blick ist dabei eine Begleiterscheinung, die wohl allen von uns gut bekannt ist. Schaffen Sie aus diesem Grund für Ihre indirekte Kundengruppe Alternativen. Sitzecken, Spielmöglichkeiten (richtig designed können Frauen dort auch ihre Männer abgeben) oder andere Varianten der Betätigung.
#Lösen Sie nicht alle Probleme
Was kontrovers klingt, hat aber einen einfachen Hintergrund: Nicht alle genannten Probleme, wurden auch richtig in ihrer Ursache identifiziert und häufig produzieren unbedachte Lösungen auch neue Bruchstellen. Sammeln Sie darum Ihre Kundenprobleme und identifizieren Sie das darunter liegende Thema, um danach die bestmöglichen Lösungen erarbeiten zu können.
#Erwartungshaltung schaffen
Kaum etwas ist schlimmer, als wenn die Erwartungshaltung des Kunden nicht getroffen wird oder der Kunde über seine nächsten Schritte im Sinne des Service im Unklaren gelassen wird. Selbst bei herausragendem Service kann es dann zu Enttäuschungen kommen, wenn diese Vorstellungen, nicht gut gesteuert werden. Es gibt einen Grund, warum in jedem guten Hotel die Rezeptionisten erklären, wann die Essenszeiten sind, und welche Öffnungszeiten die unterschiedlichen Hotelbereiche haben. Sie steuern damit die Erwartungshaltung der Gäste und geben einen Rahmen vor. Das Thema Erwartungshaltung ist dabei besonders relevant im Kontext von Wartezeiten und Transparenz: Wie lange muss ich noch warten, bis ich an der Reihe bin? Wie lange braucht mein Paket noch zu mir? Welche Preisoptionen habe ich? Geben Sie Ihren Kunden die Möglichkeit sich zu orientieren, damit der Rahmen der Interaktion für beide Seiten klar ist.
#Emotionale Momente designen
Oft geht es dabei um die kleinen Dinge, die Ihren Services besonders machen können. So wie es in der Gastronomie den „Gruß aus der Küche“ gibt, kann dieser kleine Anker auch in anderen Bereichen verwendet werden. Ware der Kunde bereits einmal bei Ihnen? Versuchen Sie mit dem Namen zu grüßen. Wird ein neues Produkt gekauft? Geben Sie dem Kunden die Möglichkeit, sich in ein Leben mit diesem neuen Besitz zu versetzen. Muss Ihr Kunde warten? Bieten Sie eine bequeme Umgebung und Ladegeräte für Mobilgeräte an. Es gibt viele Möglichkeiten, diese kleinen Momente zu schaffen und unsere Kunden zu begeistern. Setzen Sie dabei auf die Kleinigkeiten, die sich einfach und verlässlich umsetzen lassen, an Stelle von großen Versprechen, die Sie vielleicht nicht halten können.
Somit:
Denken Sie beim Design über Ihren Service hinaus, behalten Sie den Kontext im Auge, in dem sich Ihre Kunden befinden und stellen Sie sich immer die Frage: What could possibly go wrong?
Referenzen:
Autor: Bernadette Fellner
Business Innovation Lead
PwC Digital Consulting