Prozess oder Kunde – was kommt zuerst?
Prozessdiskussionen gefährden den Aufholprozess im Bereich der Digitalisierung
Aufbruchsstimmung – die Geschäftsleitung hat den Ankauf eines zentralen Tools oder einer völligen Ablöse der IT-Landschaft freigegeben. Endlich wird alles besser – die Frage ist nur, für wen? Wenn Unternehmen heute über Digitalisierung sprechen, wird unbewusst meist über drei völlig verschiedene Ebenen mit völlig unterschiedlichen Zielen gesprochen, ohne dass dies den Beteiligten auffällt:
- Die Leitungsebenen erwarten sich von der Digitalisierung meist bessere Dashboards, aktuellere Kennzahlen, Echtzeit-Reporting,
- die Mitarbeiter erwarten sich vorwiegend die Digitalisierung mühsamer manueller Prozesse und
- die Eigentümervertreter erhoffen höhere Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitigen Einsparungen. Nichts davon hat tatsächlich mit Digitization zu tun, also der Wertschöpfung durch digitale Produkte und Services. Und sehr wenig hat mit Kundenorientierung zu tun, die für diese Wertschöpfung die Grundlage darstellt.
Wenn es nun innerhalb des Unternehmens unterschiedliche Sichten auf die Digitalisierung gibt und die eigentliche Digitalisierung und Kundenorientierung fast keine Rolle spielt (außer natürlich in Konzepten), wie zukunftsträchtig ist dann die neueste IT-Investition? Ist es nicht sogar wahrscheinlicher, dass eine neue Runde von Investitionen, Projektzeiten und massiven Ressourceneinsatz das Unternehmen tatsächlich auf mehrere Jahre hemmt? Jahre, in denen die digitale Konkurrenz weiter Marktanteile abgräbt?
Die Hausaufgaben der Digitalisierung bedeuten unweigerlich die Auseinandersetzung mit Systemen, Prozessen und internen Rahmenbedingungen. Der digitale Status hat in vielen heimischen Betrieben tatsächlich nicht die Reife, um rasch mit digitalen Produkten und Services beginnen zu können. Das MIT schätzt die Dauer der Transformation mittlerweile mit 7 Jahren – dies aber nur, wenn sie von Beginn an das Ziel war.
Ebendiese Zieldefinition scheint aber das Problem zu sein, denn wenn für die einen Digitalisierung bereits erledigt ist, wenn das neue BI Tool anklickbare Grafiken produziert, für die anderen alles in Ordnung ist, wenn Daten nicht mehr manuell von einem ins nächste Tool eingegeben werden müssen und wieder andere erst mal zufrieden sind, wenn der eine oder andere Prozess beschleunigt wird, ist nicht mehr ausgeschlossen, dass die Hausaufgabe der Digitalisierung von Kunden und Markt nach Ablauf dieser 7 Jahre mit einem Nichtgenügend bewertet wird.
Aus heutiger Sicht droht eine Doppelbelastung, wenn das eigentliche Ziel – maximale Kundenorientierung für maximalen wirtschaftlichen Erfolg – unklar definiert und in Implementierungsprojekten mangelhaft umgesetzt wird. Die Gefahr, mit diesem Ansatz in Wahrheit zwei oder gar drei enorme Implementierungsgroßprojekte hintereinander stemmen zu müssen und damit auf Jahre hin ernsthaft unter Wasser zu sein, ist vor allem für die IT, aber auch für Fachabteilungen und insbesondere Einzelpersonen enorm. Es drohen Fehlinvestitionen, jahrelange Prozessdiskussionen, Burnout und Marktverlust – noch ganz ohne Berücksichtigung des meist ebenso unterrepräsentierten Themas der Cybersecurity.
Wir können die Notwendigkeit, die digitale Transformation vom Kunden weg zu planen daher gar nicht genug betonen. Wer wettbewerbsfähig bleiben möchte, hat einen klaren Nordstern. Die Lösungen für eine kundenorientierte Transformationsplanung sind heute da und ebenso wissenschaftlich gesichert wie auch praxistauglich umsetzbar. Es fehlt also weder an Wissen, noch an Technologie, noch an Methoden. Es braucht Fokus, Entschlossenheit und ein klares Verständnis für die Wirtschaft von morgen (die eigentlich schon heute da ist). Abkürzungen zur Digitalisierung gibt es nicht, Sackgassen und Irrwege aber sehr wohl. Wir sollten diese Irrwege im Interesse des Wirtschaftsstandortes Europa tunlichst vermeiden und daher einen State-of-the-Art Ansatz wählen, wenn die Modernisierung der IT-Landschaft auf der Tagesordnung steht.
Autor: Andreas Hladky
PwC Digital Consulting