Brand Management wird zur Regie von Werten

Das Wichtigste vorweg: Marken müssen sich stärker mit dem wachsenden kritischen Bewusstsein von Käufern auseinandersetzen. Denn laut einer Umfrage von Statista Global Survey im Jahr 2020 hat bereits jeder zweite Konsument in den USA im letzten Jahr aktiv etwas unternommen, wenn ihm das Verhalten einer Marke missfallen hat – vor allem online oder auf Social Media Plattformen.

Cancel Culture – Aktivismus auf dem Vormarsch

Der Nummer 1 Grund ein Unternehmen oder eine Marke in Deutschland zu “canceln” ist übrigens Tierquälerei. Laut Statista Global Consumer Survey sieht das Ranking der Top Cancel-Gründe so aus:

  1. Tierquälerei (55%)
  2. Umweltschädigung (44%)
  3. Korruption und Betrug (42%)
  4. Gesundheitsschädigende Produkte (40%)
  5. Rassismus (34%)
  6. Ungerechte Behandlung der ArbeitnehmerInnen (34%)
  7. Sexismus (30%)
  8. Datenmussbrauch (30%)

Besonders die Generation Z (18 bis 25 Jahre) erwartet eine ethisch fundierte Position von Marken zu kontroversen Themen. Die Zeiten, in denen Unternehmen erst im Scheinwerferlicht eines sozialmedialen Aufschreis ein Anliegen ernst genug nehmen, um etwas zu ändern, sind vorbei, die heutigen (jungen) Konsumenten verzeihen keine Fehltritte. Man denke nur an das deutsche Startup Pinky Gloves, welches medienwirksam Einweghandschuhe für den Tamponwechsel als Geschäftsidee präsentierte. Der Aufschrei in den sozialen Netzwerken ließ nicht lange auf sich warten und das schlecht durchdachte Produkt wurde komplett vom Markt genommen.

Dies ist zugegebenermaßen ein Extrembeispiel, aber in der heutigen Zeit gibt es zahlreiche Themen, die im Fokus stehen – von Nachhaltigkeit über Gender Equality und Diversity bis hin zu politischer Haltung. Somit muss sich jede Marke mit dem nicht zu leugnenden Cultural Shift auseinandersetzen und die richtige Positionierung finden. Am Beispiel der Modebranche sieht man gut, wie tiefgreifend dieser Shift für manche Branchen sein kann:

Inclusive Sizing – bessere Mode schaffen

Jeder, der der Modeindustrie seine Aufmerksamkeit schenkt, kann von einem wachsenden Markt für größeninklusive Kleidung berichten. Es ist offensichtlich, dass Inklusion durch Größe, in alle Richtungen, ein großartiger Weg ist, um einerseits zeitgemäße Haltung zu demonstrieren und gleichzeitig den Umsatz zu vergrößern.

Laut einem Artikel der Vogue Business „wird der Markt für Übergrößen weltweit auf über 178 Milliarden Dollar geschätzt, mit einem prognostizierten jährlichen Wachstum von 4,3 Prozent bis 2028, laut Acute Market Research.“

Marken haben endlose Möglichkeiten, ihre Umsätze durch erweiterte Größenoptionen zu steigern, indem sie in Mode mit erweiterter Passform investieren. Digitale Innovationen sind eine großartige Möglichkeit, diese Bemühungen durch Tagging, diverse Mustermodelle, Kundenrezensionen und genaue Größenrichtlinien zu unterstützen.

Androgyne Identität – Entfernung des Geschlechts

„Wie viele Frauen da draußen haben Mäntel mit „Taschen“, die gar nicht echt sind?“ Dieser Aufschrei zur Geschlechterpolitik wurde 2014 vom Atlantic veröffentlicht. Aktuelle Trendbeobachter beleuchten auch regelmäßig das Gender-Shifting in der Männerkleidung durch Ikonen der Popkultur wie David Bowie oder Tom Neuwirth aka Conchita Wurst – um nur zwei berühmte Beispiele zu nennen.

Passend dazu entwickeln auch Marken androgyne Linien, besonders für die Generation Z und Millennials, die den Weg für eine Vielfalt an Farben, Kleidungsarten und modernen Silhouetten ebnen, die nicht den stereotypen Geschlechternormen entsprechen.

Hier kommen Unternehmen wie Wildfang ins Spiel, deren Modelinien die aktuellen Geschlechternormen durchbrechen und Inklusion leben. Dies könnte man als konsequente Weiterentwicklung der Geschichte betrachten, denn schon Gabrielle „Coco“ Chanel nahm sich die Herrengarderobe zum Vorbild und emanzipierte damit die Damenmode.

Political Standing – Marken-Statements polarisieren

Zwischen der COVID-Krise, Black Lives Matter, Klimapolitik und all den Bruchlinien in unserer Gesellschaft, wurden Marken oftmals entweder menschlich oder durch die Cancel Culture an den Rand gedrängt.

Ein positives Beispiel sind Nike, Converse, Jordan Brand und Michael Jordan, die zusammen 140 Millionen US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren zusagten, um die Rassenungleichheit für schwarze Amerikaner zu bekämpfen.

Es gilt aber trotzdem noch immer, dass politische Statements von Marken mit Vorsicht zu genießen sind. Nur knapp die Hälfte der US-Konsumenten halten Marken-Statements für angebracht. Die Entscheidung dafür oder dagegen sollte also jedes Unternehmen mit Bedachtsamkeit treffen.

Silver Generation – riesiges Potenzial

Marken verpassen oft riesige Möglichkeiten, mit alternden Bevölkerungsgruppen in Kontakt zu treten, die auf dem Modemarkt und in der Industrie weitgehend ungenutzt, versteckt und selten angesprochen werden. Mein Kollege Markus Kittenberger hat sich mit diesem Thema im Detail beschäftigt.

Marken werden sich daher verstärkt darauf fokussieren, Menschen von der Vorschule bis in den Ruhestand begleiten zu können, anstatt an veralteten Zielgruppendefinition festzuhalten, die es in der Realität nicht mehr gibt.

Cultural Shift – wie gehen Sie damit um?

Wir können also festhalten, dass Kunden mittlerweile mehr von Unternehmen verlangen, als unternehmerisch zu handeln. Der Mehrwert eines Unternehmens bemisst sich daran, wie viel Mehrwert für die Gesellschaft generiert wird. Dies sollte jeder Brand Manager im Hinterkopf behalten und berücksichtigen. Wie jede einzelne Marke mit diesem Wissen umgeht, ist höchst unterschiedlich und entscheidet oftmals über Erfolg oder Misserfolg.

Autor: Birgit Ecker
PwC Digital Consulting