Digitale Inklusion: Breaking Boundaries in Tech Design
Ab dem Jahr 2025 müssen digitale Anwendungen und Plattformen barrierefrei gestaltet und damit für alle zugänglich sein. Digitale Inklusion: Das sieht das Barrierefreiheitsgesetz für digitale Produkte und Dienstleistungen der EU für alle Unternehmen ab zehn Mitarbeiter:innen oder zwei Millionen Euro Jahresumsatz vor.
Dass diese Deadline schon sehr bald ist, klingt hart. Klar. Dennoch bietet diese Regelung auch ein enormes Potenzial für technologische Innovationen. Was dabei allerdings zu beachten ist und welche unternehmerische Haltung eingenommen werden muss, schauen wir uns anhand des ‚Ethics by Designs‘ und ‚Value Sensitive Designs‘ an. Diese Ansätze und Werthaltungen können das Sprungbrett zur sozialen Inklusion und gleichzeitig zur wirtschaftlichen Selbstbestimmung sein. Aber zurück zum Anfang …
Mind the Gap: Der Weg in Richtung Inklusive Technologien
… Was bedeutet „soziale Inklusion“ eigentlich?
Vereinfacht gesagt, ist sie das Ausmaß, indem ein Individuum oder eine Gemeinschaft voll an der Gesellschaft teilhaben und ihr Leben selbst in die Hand nehmen kann.
Bei der Bestimmung des Grades der Digitalen Inklusion einer Technologie betrachtet man die Begriffe inklusiv und exklusiv als gegensätzliche Endpunkte eines Spektrums, das beschreibt, inwieweit eine bestimmte Gemeinschaft eine bestimmte Technologie nutzen kann, um ihre Ziele zu erreichen. Wobei sich hier und in Anbetracht der heutigen Technologien häufig eine digitale Kluft zeigt. Dieser ‚digital divide‘ ergibt sich aus einer Vielzahl an Gründen, etwa (1) der ungleiche Zugang zu physischen Ressourcen und (2) Informationsressourcen wie Softwares und Inhalte sowie (3) die ungleiche ,Anpassungsgegebenheit‘ an gewisse Technologien.
Im Kontext digitaler Innovationen spielt somit die barrierefreie Möglichkeit zur Nutzung der entsprechenden Technologien aber auch die Prinzipientreue eine entscheidende Rolle. Ausschließlich alle Nutzer:innen erwarten sich bei einem gewissen Grad an Aufwand und durch eine gewisse Leistung der Technologien die Erreichung eines gewissen Ziels. Dazu zählen Menschen mit einer permanenten Behinderung, aber auch all jene, die temporär eingeschränkt sind. Etwa aufgrund eines Gipses an der Hand oder aufgrund des im Arm schlafenden Babys.
Um diese Hürden zu überwinden, müssen vorab und währenddessen begünstigende bzw. vorteilhafte Bedingungen herrschen. Nur so sind die Anwendung und Zielerreichung digitaler Produkte – Digitale Inklusion – uneingeschränkt möglich.
Im Aufbruch zur digitalen Inklusion reicht allerdings der ‚Ease-of-Use‘ nicht aus, es müssen Verantwortlichkeiten und entsprechende Positionen geschaffen, sowie auch die Unternehmenswerte nachhaltig in ein neues Licht gerückt werden. In Anbetracht dessen, gibt es in der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bereits verschiedene Ansätze, die das technische Design mit barrierefreien Prinzipien sowie gesellschaftlichen und ethischen Werten verbinden (‚Ethics by Design‘).
Beyond IT: Die Diversität der Expert:innen und Fachkompetenz
Die digitale Transformation umfasst mehr als nur die Entwicklung von informationstechnischen Systemen. Sie beschreibt vielmehr den Prozess dahinter: Von der Entwicklung über die Implementierung bis hin zum Einsatz von Technologien, mit dem Ziel einen Mehrwert für Unternehmen und für die Gesellschaft zu erreichen. Es müssen also neben der Informationstechnik auch nicht-technische Dimensionen berücksichtigt werden, damit in die Wertschöpfung eingezahlt wird. Das sind Dimensionen wie der Einsatz der Technologien durch die Organisation bzw. Gesellschaft und gegebenenfalls bestimmte Regeln im Sinne der Compliance.
Um sicherzustellen, dass Technologien angemessen entwickelt und danach auch eingesetzt werden, braucht es neben Technik-, Strategie- und Rechts-Expert:innen auch jene Expert:innen, die auf Erfahrung aufgrund von persönlicher Betroffenheit zurückgreifen können.
Sehen wir uns ein Beispiel an:
Investitionen in Forschung, Design, Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Technologien zur Erkennung von Gebärdensprachen, wie u.a. durch Avatare, sind prinzipiell von entscheidender Bedeutung. Dennoch ist es unerlässlich gehörlose Expert:innen in diesen Prozess einzubeziehen, um sicherzustellen, dass alle Elemente der Information ordnungsgemäß übertragen und von der Zielgruppe verstanden werden.
Das schaffen wir mit einem iterativen Ansatz, der dem Design Thinking nahekommt und für die Einbeziehung menschlicher Werte in den technischen Gestaltungsprozess sorgt.
Value Sensitive Design: Systematischer Entwicklungsprozess
Das Value Sensitive Design ist ein Designansatz, der darauf abzielt, verantwortungsvolle Innovationen im Rahmen moralischer und technischer Berücksichtigungen zu schaffen. Ursprünglich in der Mensch-Computer-Interaktion (Human-Computer-Interaction) entwickelt, wird dieser Design-Ansatz inzwischen in einer Vielzahl von Informatik- und verwandten Bereichen angewandt, darunter künstliche Intelligenz, Biomedizin und Gesundheitsinformatik, zivile Drohnen, Computersicherheit, Datenwissenschaften, Nanotechnologie, natürliche Sprachverarbeitung oder Robotik.
Ein entscheidender Aspekt des Value Sensitive Design ist, dass es auf konzeptuellen, empirischen und technischen Untersuchungen aufbaut. Bei der Umsetzung von Projekten setzen Designer:innen auf einen breit sortierten Werkzeugkasten, der unter anderem die Werte-Szenarien-Methode, Fokusgruppen, Co-Design-Workshops, Value Dams and Flows sowie die Auswertung von Produktbewertungen beinhaltet. Ein zentraler Schwerpunkt liegt dabei darauf, die Werte, die in den Entwicklungsprozess einfließen sollen, messbar und konkret zu machen. Dies können Werte wie Gleichheit, Fairness, Vertrauenswürdigkeit oder Privatsphäre sein.
Obwohl der Ansatz des Value Sensitive Design in der Praxis noch in den Kinderschuhen steckt, zeigt er auf, wie wichtig es ist, sensibel auf gesellschaftliche Normen und Werte zu reagieren und diese in den digitalen Transformations- und Entwicklungsprozess zu integrieren. Für state-of-the-art und zukunftsfähige Technik wird es also nicht mehr nur wichtig sein, inklusiv zu denken, sondern inklusiv zu agieren und zu gestalten. Durch den Einsatz des Value Sensitive Design können wir sicherstellen, dass unsere Technologie nicht nur innovativ ist, sondern auch verantwortungsvoll und ethisch korrekt.
Autorin: Daniela Tinhof
Quellen:
https://link.springer.com/article/10.1365/s40702-022-00852-1#ref-CR12
https://link.springer.com/article/10.1007/s10676-019-09497-z
https://typeset.io/papers/a-conceptual-model-of-inclusive-technology-for-information-2pe4ewaqpi
https://www.oeglb.at/wp-content/uploads/2021/05/Avatare_OeGLBOeGSDV_Stellungnahme-2019.pdf