Twitter wird X – genialer Schachzug oder überstürzte Fehlentscheidung? 

Elon Musk – CTO und seit Oktober 2022 Executive Chairman von Twitter – hat durch die Umbenennung von Twitter zu X „im Alleingang über fünfzehn Jahre eines Markennamens ausgelöscht, der seinen Platz in unserem kulturellen Lexikon gesichert hat“.

Dieses Zitat von Mike Proulx, Analyst bei Forrester spricht Bände: Die Nachricht, dass die ikonische Internetmarke eingestampft wird, lässt Brandexperten rätselratend zurück – ist das ein genialer Schachzug oder eine überstürzte Fehlentscheidung?

 

Die Geschichte

Der Schritt zur Umbenennung kommt nicht völlig überraschend. Musk hatte bereits den Firmennamen von Twitter zu X Corp geändert. Diese ist wiederum eine Tochtergesellschaft der X Holding Corp. Zusätzlich taucht der Buchstabe X auch im Namen von Musks Raketenfirma SpaceX auf. Im Vorfeld hat er bereits immer wieder angekündigt, dass man sich bald von Twitter verabschieden würde.

Trotzdem kam die tatsächliche Umstellung dann doch plötzlich. Vor ein paar Wochen wurde die neue Ära mit einem großen X auf dem Dach der Firmenzentrale und einer flapsigen Nachricht von Lina Yaccarino, nunmehr Chefin des Unternehmens, eingeleitet: „X ist da! Los geht’s“. Innerhalb von wenigen Tagen wurde dann der blaue Twitter-Vogel weltweit durch ein X ersetzt.

 

Die Gründe

Elon Musk hat große Pläne mit Twitter. Über die nächsten Monate möchte er die Unternehmenskultur umkrempeln, das Einnahmemodell ändern und die Funktionen der App erweitern. Schlussendlich möchte er X in eine „Alles-App“ verwandeln, die es ermöglicht, alles, von Finanzen bis Kommunikation, auf einer Plattform abzuwickeln.

Elon Musk kommentiert dazu in einem Posting: „Der Name Twitter machte Sinn, als es nur 140-Zeichen-Nachrichten waren, die hin- und hergeschickt wurden – wie das Zwitschern von Vögeln – aber jetzt kann man fast alles posten, einschließlich mehrerer Stunden Video. In den kommenden Monaten werden wir umfassende Kommunikationsfunktionen und die Möglichkeit hinzufügen, Ihre gesamte Finanzwelt zu verwalten. Der Name Twitter macht in diesem Zusammenhang keinen Sinn, also müssen wir uns von dem Vogel verabschieden“.

 

Die Reaktionen

Twitter ist nicht nur irgendeine Marke. Das Netzwerk hat eine große Community und wurde lange als Instrument für Freiheit gesehen. Seit der Übernahme durch Musk fiel es allerdings auf Platz 97 unter den 100 Marken im Axios Harris Reputationsranking 2023. Der Markenwert hat also stark gelitten, doch Twitter ist nach wie vor eine der wenigen Marken, die sogar im kulturellen Sprachgebrauch sowohl als Substantiv als auch als Verb verwendet wird.

„Die Tatsache, dass die Menschen den Begriff ‚twittern‘ verwenden und ein allgemeines Gefühl der Vertrautheit besteht, ist unglaublich schwer zu erreichen“, sagt beispielsweise die Marketingspezialistin und Gründerin von SW Projects, Sara Wilson.

Eine ikonische Internetmarke zu töten ist „extrem riskant“ in einer Zeit, in der konkurrierende Apps wie das neue Instagram Threads und kleinere Emporkömmlinge wie Bluesky Nutzer:innen anlocken, meint Mike Proulx, Analyst bei Forrester.

„Es gibt kein Gefühl mehr dafür, wofür Twitter als Marke steht“, so Wilson gegenüber Axios. „X fühlt sich seltsam und deplatziert an und als Verbraucher weiß ich nicht, wie dieser neue Name das Produkt widerspiegelt. X fühlt sich an, als wäre es aus einer Namenskiste genommen und auf ein Branding-Dokument gesetzt worden.“

Dies sei einer der Gründe, warum sich die treuen Stammnutzer:innen im Stich gelassen fühlen, fügt Maggie Sause, Direktorin für Markteinführungsstrategien bei der in New York ansässigen Branding-Agentur Red Antler, hinzu. Sie ist der Meinung, dass sich die Umstellung „wie ein schwarzes Loch anfühlt, voll mit Dingen, die Musk tun könnte“, ohne dass es einen klaren Plan für die Umsetzung der neuen Funktionen gibt, die er den Verbraucher:innen in Aussicht gestellt hat. Sie ist der Meinung, dass dies die treue Nutzerschaft weitgehend entfremdet.

Anderer Meinung ist hingegen Kumar Sarangee, Professor für Marketing an der Santa Clara University: „Wenn er all die Dinge ändern will, die er angekündigt hat, ist es richtig auch den Namen zu ändern.“

 

Unsere Einschätzung

Wenn man sich die Geschehnisse von einem strategischen Blickwinkel ansieht, scheint eine Umbenennung durchaus richtig: Die Funktionen und Verwendungszweck der App sollen sich radikal ändern. Da ist es sehr empfehlenswert auch das Leitbild, Wertversprechen und Markenimage dazu kohärent anzupassen. Zusätzlich ist das Markenimage seit der Übernahme in freiem Fall. Die Werbeeinnahmen haben sich 2023 fast halbiert und Besserung ist durch andauernde provokante Äußerungen von Musk auch nicht in Sicht.

Das Problem an der Umstellung ist die überstürzte Vorgehensweise. Die Enthüllung des neuen Namens wirkte wie jede Entscheidung von Elon Musk: spontan und unüberlegt. Das ist eine riskante, in anderen Situationen vielleicht erfolgreiche Strategie. Ein Rebranding muss aber viel behutsamer und bedachter umgesetzt werden. Viele Nutzer:innen haben eine emotionale Verbindung zu Twitter. Sie fühlen sich jetzt vor den Kopf gestoßen. Gleichzeitig ist nicht klar, wie die angekündigte „Super-App“ aussehen soll.

Man hätte die Chance gehabt, in einen wertschätzenden Dialog mit der Twitter-Community zu treten und anschließend mit einer klaren Botschaft an die Öffentlichkeit zu gehen, um der Welt eine neue, intelligente Super-App mit gebührendem Wow-Effekt vorzustellen. Stattdessen überwiegt jetzt das Gefühl von Chaos und völliger Ignoranz von Geschichte, Wertversprechen und Emotionen der Nutzer:innen. 

Man kann wohl davon ausgehen, dass der Ärger vergeht, User:innen weiterziehen und die Diskussion um das Rebranding bald verebben wird. Negative Reaktionen klingen meistens mit der Zeit ab, ein schaler Beigeschmack zu X, der Alles-App, wird aber bleiben.

 

Autorin: Birgit Ecker