OTC und bald auch Prescription? Die Veränderung der Branche durch digitale Technologien wird an allen Ecken und Enden sichtbar – auch in Österreich.

Was ist der Unterschied zwischen Zahnpasta und einem Grippemittel? Pharmakologisch sicher ein großer, doch im Bereich des digitalen Marketings: Er wird immer geringer. Der Erwerb des OTC (rezeptfreien) Geschäftes durch internationale Handelsriesen ist ein erster Indikator, dass im Pharmamarketing sehr bald kein Stein mehr auf dem anderen stehen wird.

Zuerst zu einigen grundsätzlichen Treibern digitaler Transformation: Durch digitale Technologien kann jeder überall alles verkaufen. Im Healthcare-Bereich bedeutet das, dass Hersteller von Medikationen direkt an den Kunden können – zuerst mal nur im Web und in einiger Zukunft dann vielleicht doch auch im Supermarkt. Im Web haben die Verkäufer den Vorteil, Patientendaten zu erhalten und so Rückschlüsse über Frequenzen, Kundenstrukturen und Kaufhistorien zu ziehen – alleine das ist ein enormer Vorteil über den Vertrieb durch Großhändler.

Aber das ist noch nicht alles: Sobald OTC-Produkte wie normale Handelsprodukte verkauft werden – was in Österreich zumindest im Web bereits der Fall ist – gelten auch andere Gesetze für das Pharmamarketing. Tradepromotions, Contentmarketing, Patient Journeys und Touchpointanalysen, SEO, SEA, Influencermarketing – all das wird bald State of the Art im OTC-Sektor sein. Der Regulator spielt hier, wie in anderen Branchen, eine nicht ganz unproblematische Rolle: Während internationalen Playern (aus dem Ausland agierend) so gut wie alles möglich ist, verhindern Richtlinien, dass im Inland Wissen und Innovation aufgebaut wird. Da ständig neue Werbe- und Kommunikationsformen auf den Markt kommen, ist dieser Lernprozess aber ein wesentlicher und derzeit lebenslanger Prozess. Digitale Marken- und Kommunikationskompetenzen sollten im OTC-Sektor somit höchste Priorität haben.

Aber wie sieht es im Prescription-Bereich aus, also jenem Sektor, der vermeintlich vor der großen neuen, digitalen Welt geschützt ist? Wir würden meinen, nicht viel besser. Der Grund dafür ist in den obenstehenden Logiken zu suchen. Wenn der Patient über die Jahre hinweg lernt, dass er selbst sein eigener Gesundheitsmanager ist, wird er auch mehr Verantwortung für Informationen übernehmen, die er von Ärzten, dem Gesundheitsapparat und eben auch dem Web annimmt. Er wird – sicherheitshalber – nachsehen, ob er das richtige Antibiotikum verschrieben bekommen hat, welche Wechselwirkungen er erwarten kann oder Patienten mit ähnlicher Vorgeschichte suchen und er wird vielleicht nicht so sehr das Web als vielmehr seine eigene Recherche als neue qualitative Autorität wahrnehmen.

Im Web wird er dazu Informationen zu einer neuen personalisierten Medizin, Artificial Intelligence und Durchbrüchen in unterschiedlichen Forschungsbereichen lesen und nur noch darin bestärkt werden, nicht alles für gegeben zu nehmen, was er von seiner bisherigen Vertrauensquelle, dem Arzt oder Apotheker, zu hören bekam. In jedem Fall – ob OTC oder rezeptpflichtig – ist digitale Kommunikation ein neuer Einflussfaktor geworden, der bereits jetzt seine Auswirkungen auf Umsätze, Prozesse, Vertriebswege und Werbelogiken hat und noch haben wird.

Und eines ist sicher: Alle anderen Branchen, die in ähnlichen Situationen waren und sich der dieser Einsicht verwehrt hatten (z.B. Musik, Film, Medien, Automobil, Handel, Banken), mussten auf die harte Art und Weise lernen, dass sich das Machtgefüge der Wirtschaft unverrückbar zugunsten des Konsumentens aka Patienten verändert hat. Jene Unternehmen, die diese neue Wahrheit am schnellsten verstehen, verdauen und entsprechend neue Businessmodelle und -logiken aufbauen, werden langfristig erfolgreich sein.