Living Locally – welche Implikationen das Konzept der 15-Minuten-Stadt haben kann
Ob Portland, Barcelona, Paris, Melbourne oder Ottawa, diese Städte verbindet eine Gemeinsamkeit, die noch viele Generationen begleiten und aktiv im gegenseitigen Miteinander beeinflussen wird: Eine flexiblere Städteplanung, die den Menschen und dessen Bedürfnisse in den Fokus stellt.
Das dabei meist in Referenz bezogene Prinzip der 15-Minuten-Stadt, bezieht sich auf die Überlegungen von Carlos Moreno, der an der Sorbonne eine Professur innehat. Seine Argumentationen beflügeln dabei nicht nur das ein oder andere Unternehmen zum aktiven Umdenken, sondern ganze urbane Gegenden.
Die Vision umschreibt dabei ein Stadtmodell, das jedem Menschen ermöglicht, in jedem Viertel die tagtäglich aufkommenden Bedürfnisse innerhalb eines kurzen Spaziergangs oder durch eine kurze Fahrt mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV von seinem Zuhause zu erledigen. Dies umfasst nicht nur Lebensmittelgeschäfte, sondern eben auch Ärzte, Erholungsräume, Fitnessstudios, den Arbeitsplatz sowie pädagogische Einrichtungen. Eben alle Dinge, die ein Einwohner im Laufe seiner Zeit tagtäglich nachfragt.
Vorbei die Zeiten, in denen man morgens mindestens 30 Minuten Anfahrtszeit mit dem Auto einplanen musste, da nicht nur der Straßenverkehr unberechenbar war, sondern eben auch die Parkplatzsuche.
Städte und Bedürfnisse im Wandel
Im Laufe der Zeit wurde die Komplexität der Alltagsorganisation von einfachen Dingen wie „die Milch ist ausgegangen“ zusätzlich gesteigert. Und neben der Komplexität gegebenenfalls auch der Stress.
Dabei gehen die derzeitig vorherrschenden Städtekonzepte auf jene des 20. Jahrhunderts zurück, als das Auto die Errichtung von nach Funktionen getrennten Stadtbereichen populär machte. Erst kürzlich erschien ein Zeitungsartikel, in dem man sich die Frage stellte, wie man bloß in der deutschen Stadt Essen die Autobahn A40 wie eine Art Schneise mitten durch die Ruhrmetropole bauen konnte und ob eine Art Deckel nicht zu mehr Lebensqualität führen könnte. Wurde es damals als Meisterleistung der Stadtplanung klassifiziert, dass eine zentrale Verkehrsachse mühelos die Bevölkerung innerhalb des Ruhrgebiets miteinander vernetzt, so wird dies heutzutage eher kritisch betrachtet.
Die Bevölkerung wächst und steht im Fokus
Die kritische Haltung früherer Stadtkonzepte gegenüber ist durchaus zu begrüßen: Gemäß des „UN World Urbanization Prospects 2018“ werden bis 2050 voraussichtlich fast 7 Milliarden Menschen in städtischen Gebieten leben, während 3,1 Milliarden Menschen auf dem Land leben werden. Um diese Zahl noch beeindruckender zu gestalten, hier einmal die Vergleichszahlen aus dem Jahr 2020 aus derselben Studie: Hier umfasste die Gesamtbevölkerung knapp 8 Milliarden Menschen, wobei 4.38 Milliarden in städtischen Gebieten und 3.42 Milliarden Menschen auf dem Land lebten.
Es ist also Handlungsbedarf geboten. Nicht nur bei Städteplanern, sondern eben auch bei denjenigen, die die Städte mit ihren vielfältigen Angeboten zu einem Anziehungsmagneten für Bewohner:innen gestalten. Vorbei die Zeiten, als Autos die Städte formten. Die Bevölkerung steht im Fokus.
Innovationskraft der Unternehmen für ein Miteinander
Einige Unternehmen nutzen ihre Innovationskraft bereits, indem sie mit spannenden und angepassten Konzepten aufhorchen lassen: da gibt es Lebensmittelriesen, die Kleinflächen-Konzepte in City-Lagen eröffnen oder einen Spezialisten für Einrichtungen, der auf vertikale Verdichtung mit viel Begrünung an der Häuserfront setzt und sich auch noch weitere Mieter sprichwörtlich mit ins Haus geholt hat, um die Fläche für den Konsumenten optimal nutzbar zu machen.
Statt Einkaufswägen sind nun fahrbare Einkaufskörbe die Praxis, statt PKW-Parkplätze werden sperrige oder einfach viele Dinge direkt bis vor die Haustür geliefert – und zwar mit Lastenrädern oder umweltfreundlichen Transportern. Statt Kassen, wird mittels Scan&Pay bezahlt und das Lager befindet sich vollautomatisch im Kellergeschoss oder an anderer zentraler Stelle, von dem sich mehrere Geschäfte der jeweiligen Marke bedienen können.
Im Zentrum der 15-Minuten-Stadt ist der Mensch und nicht das Mittel zum Zweck. Dies lässt wiederum zu, dass Geschäfte über eine Erweiterung oder gänzliche Änderung ihres Konzeptes nachdenken. Statt nur für einen eng definierten Zeitraum die Ladenflächen geöffnet zu haben, sind es nun Konzepte mit Mehrzwecknutzungsmöglichkeiten: Die Lobby eines Hotels wird so zum Treffpunkt eines ganzen Viertels mit angeschlossener Bäckerei, einem Café und weiteren Annehmlichkeiten.
Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich erst einmal ins Auto setzen musste, um in ein Großraumkino zu gelangen, inklusive Ziehung der Parkkarte. Alles wird etwas kleiner und gemütlicher, die Menschen rücken näher zusammen und genießen die Qualität des Miteinanders statt des Lebens nebeneinander.
Großraumbüros finden nicht nur in Zeiten von Corona ein gewisses Abschreckungspotential, sondern auch ganz allgemein in Zukunft. Kleinere Büros, die innerhalb des Stadtzentrums verteilt sind, laden zu mehr Diversität und Vielfalt ein. Die Möglichkeit des hybriden Arbeitens nimmt dabei zusätzlich den Druck von Unternehmer:innen, kostspielige Büroflächen zu haben. Das Büro als solches rückt ebenfalls in den Hintergrund und stellt die Bedürfnisse der Belegschaft in den Fokus. Wenn das Kind beispielsweise ungeplant aus der pädagogischen Einrichtung geholt werden muss, spielt Zeit eine wenig größere Rolle in der heutigen Zeit, denn 15 Minuten lassen sich meist einfacher kalkulieren als 60 Minuten.
Eine Chance für Stadt und Land
Das Besondere an diesem Konzept: Nicht nur für Städte, sondern auch für Dörfer bieten sich gleichermaßen neue und spannende Möglichkeiten. Die durch die Pandemie befürchtete Landflucht, die insbesondere beispielsweise in New York stark zu beobachten war (59% haben einen Umzug in Betracht gezogen und von diesen sind 41% tatsächlich umgezogen), fällt weniger ins Gewicht, da zwischen urbanen und ruralen Gebieten wieder ein gewisses Maß an Gleichgewicht hergestellt werden kann. Dies bietet also auch nachhaltige Chancen und Möglichkeiten. Statt miteinander zu konkurrieren, kann man sich wohlfahrtsmaximierend ergänzen.
Das Konzept von Carlos Moreno lässt also nicht nur Stadtplaner aufhorchen, sondern eben auch diejenigen, die die Stadt durch ihren Geschäftstrieb mit Leben füllen. Dies sind spannende Zeiten für spannende Innovationen.
Kommen Sie gerne auf uns zu, um mit uns darüber zu sprechen.
Autorin: Nadine Mastera-Scamporlino
Quellen:
Hannah Ritchie and Max Roser (2018) – „Urbanization“. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‚https://ourworldindata.org/urbanization‘.
https://www.arup.com/perspectives/the-fifteen-minute-vision-future-proofing-our-cities