Was kann der öffentliche Sektor von Erfahrungen der Wirtschaft im Bereich der Digitalisierung lernen?

Als das Web vor über 22 Jahren das Licht der Welt erblickte, spätestens aber als das erste iPhone die Läden erreichte, war klar, dass die neue Technologie in Verbindung mit Blick auf den Endkonsumenten, so gut wie alle Branchen verändern würde. Heute – Jahrzehnte später – kämpfen Unternehmen immer noch damit, ihre Daten sauber zu verwalten und auf Basis dessen ein einigermaßen modernes CRM – System einzuführen, während ihnen digitale Mitbewerber:innen zuerst unmerklich, dann signifikant, Marktanteile wegnehmen. Was ist passiert und was kann der öffentliche Sektor von der – zumindest in Zeitdimensionen – fehlgeschlagenen digitalen Transformation der Wirtschaft lernen?

1. Unterschätze nie die Geschwindigkeit der digitalen Revolution

In der Privatwirtschaft vergingen Jahre mit Grundsatzdiskussionen darüber, ob sich das Internet durchsetzen würde, ob es in dieser oder jener Branche andere Gesetzmäßigkeiten gäbe, oder ob doch alles nicht so schlimm kommen würde. Unterschätzt wurde die revolutionäre Dynamik des neuen Mediums, das ähnlich wie der Buchdruck, das Telefon oder das Fernsehgerät alles verändern würde. Das neue Medium lag zwar am altbekannten Computer, aber es war eben dennoch nicht mit ihm zu verwechseln. Unternehmen verpassten wichtige Entwicklungs- und Erfahrungszeit mit Abwarten, während andere Firmen ihr gesamtes Geschäftsmodell auf Basis des neuen Mediums errichteten. Im Public Sector kann und wird jeder Schritt digitalisiert werden, weil wie auch in der Privatwirtschaft der Endkunde, d.h. die Bürger:innen, die digitalen Services aus anderen Bereichen kennt, annimmt und erwartet.

 

2. Arbeite in Ökosystemen

Als sich Unternehmen der Privatwirtschaft langsam und zögerlich an die Implementierung neuer Technologien wagten, gab es zuallererst die Fragestellungen, ob man die Lösungen des Marktes nicht selbst machen könne. Das agile, unternehmensübergreifende Arbeiten in Plattformen war undenkbar. Auch diese Logik hat Zeit gekostet. Moderne Plattformen sind wartungsintensiv und kaum ein österreichisches Unternehmen ist heute in der Lage, diese andauernden Anpassungsarbeiten in entsprechend notwendiger Geschwindigkeit durchzuführen und dabei auch noch Cybersicherheit zu gewährleisten. Auch der Weg in die Cloud – ein Zeichen höherer digitaler Reife – wurde zu zögerlich beschritten. Um Umwege und kostenintensive Sackgassen zu vermeiden, wird es für den Public Sector wichtig sein, von Beginn an Technologien zu nützen, die es bereits gibt und diese unter Wahrung der Regulatorik in einem breiten Ökosystem weiterzuentwickeln, sei es im Bildungs-, Gesundheits-, Arbeits- oder im Verteidigungssektor.

 

3. Beginne klein, skaliere schnell

Viele Technologieprojekte auf Unternehmensseite standen unter dem Druck, bestehende Prozesse abbilden zu müssen – selten wurden diese hinterfragt und neu definiert. Alte Prozesse in neuen Systemen schmecken ebenso wie alter Wein in neuen Schläuchen: sehr rasch ist der erhoffte Vorteil nur noch ein mauer Nachgedanke. Es braucht Mut, um Prozesse radikal neu zu denken, rasch prototypisch umzusetzen und dann zu skalieren. In der Verwaltung wird es diesen Mut nur geben, wenn der notwendige politische Wille und Support geleistet wird und wenn politische Entscheidungsträger das Endergebnis von Beginn an sehen. Schon lange wartet das dafür sinnvolle Gesetz für regulatory Sandboxes auf seine Umsetzung – es würde der Verwaltung und dem Ökosystem die notwendigen Rahmenbedingungen geben, zu experimentieren, zu prototypisieren und erst dann auszurollen, wenn wesentliche Stakeholder sich zur Sinnhaftigkeit der Lösung bekennen.

 

4. Starte sofort

Zeit ist ein wesentlicher Faktor im Bereich der Digitalisierung. Zwar steht der Verwaltungsapparat im Gegensatz zur Wirtschaft durch eine rasant gewachsene Startup Szene nicht unter enormen Konkurrenzdruck, doch die Komplexität in der Verwaltung kann ungleich höher sein. Auch Change Aspekte sind im politischen Handlungsfeld eine beachtliche Herausforderung. Rasch zu starten, bedeutet jene Erfahrung zu gewinnen, die nötig ist, um digitale Projekte überhaupt erfolgreich und in hoher Taktung und zeitgemäßer Qualität zu Bürger:innen zu bringen. Wer gestern begonnen hat ist morgen um die heutige Erfahrung reicher und somit professioneller.

 

Fazit: der öffentliche Sektor sollte Learnings aus zwei Jahrzehnten Digitaler Transformation der Wirtschaft ernst nehmen und seine Projekte entsprechend professionell planen. Die Welt muss nun – 2022 – nicht mehr neu erfunden werden und rascher Digitalisierung steht heute, im Gegensatz zu vor einem Jahrzehnt, nur noch das eigene Mindset im Weg. Dass wir das rasch ändern können, hat die Coronakrise eindrucksvoll gezeigt. Diese Chance sollte die Bundesverwaltung nutzen.

 

 Autor: Andreas Hladky