Open Source Software – die Logistikbranche als Vorreiter
Die digitale Transformation ist in aller Munde. Laut aktueller Erhebung belegt Österreich europaweit rund um das Themengebiet Digitalisierung den zwölften von insgesamt 28 Plätzen und bei der Verwendung von Big Data ist Österreich an vorletzter Stelle gereiht. In der 25. Global CEO Survey von PwC gaben rund 50 Prozent der befragten CEOs an, dass die digitale Transformation als eine der höchsten Prioritäten für ihr Unternehmen angesehen wird und dass sie ihr Investment für diesen Bereich entsprechend um zehn Prozent erhöhen werden.
Dies zeigt deutlich, dass die Unternehmen die digitale Transformation nicht mehr als nice-to-have, sondern als ein must-have ansehen. Nicht zuletzt wurde diese Überzeugung in Richtung Digitalisierung durch die Pandemie massiv gestärkt und gewisse Branchen weiter in Richtung Innovation gedrängt.
Die Herausforderungen der digitalen Transformationen in der Logistikbranche
Da verwundert es nicht, dass auch die Logistikbranche von diesen Bedürfnisänderungen betroffen ist. Gerade durch die COVID19-Pandemie kam es zu einem regelrechten Boom in der Paketzustellung. Laut Zahlen von Statista, belief sich die Anzahl an Paketen in Österreich im Jahr 2019 auf rund 245.890 Millionen. Im ersten Pandemie-Jahr 2020 kletterte diese Zahl um 17% auf 287.070 Millionen Pakete und die Prognose für das Jahr 2022 beläuft sich derzeit auf knapp 300.000 Millionen Pakete, was eine 22%ige Steigerung im Vergleich zum Jahr 2019 darstellt.
Zum Vergleich: die Steigerung vom Jahr 2014 zum Jahr 2015 betrug 4% (151.130 Millionen in 2014 vs. 157.277 Millionen in 2015).
Wenn man bedenkt, welche Wege und Prozesse dabei zwischen der Bestellung und der Zustellung alle erfolgt sein müssen, erkennt man schnell, dass die Logistik alles andere als einen einfachen Systemansatz verfolgt. Dabei sind viele Wege und Prozesse noch gekennzeichnet von menschlichen Tätigkeiten.
Wenn vor einiger Zeit Paketzusteller:innen die Empfänger:innen an der Tür nicht erreicht haben, haben Zusteller:innen die folgenden Optionen; a) das Glück bei Nachbarn probieren oder b) die Zustellung an eine entsprechende Abholstelle. Nicht nur für Empfänger:innen ist das ein zusätzlicher Aufwand, sondern vor allem auch für Paketzusteller:innen, die ohnehin einer hohen Arbeitslast in Form von wenig Zeit ausgesetzt sind. Inzwischen haben einige Anbieter bereits umgeschwenkt und mit App-Lösungen beispielsweise auch verschiedene Empfangsoptionen implementiert, die den Empfangsprozess erleichtern sollen. Doch auch hier scheiden sich bereits die Geister darin, dass es von verschiedenen Anbietern verschiedene Lösungen gibt. Nicht nur für die Kunden eine lästige Angelegenheit, sondern auch für die Anbieter selbst. Denn jede Lösung basiert auf hohen Investments im Bereich der Digitalisierung.
Und das oben beschriebene Beispiel steckt nur einen kleinen Teilbereich innerhalb der Logistikbranche ab.
Auf einmal müssen sich innerhalb eines Unternehmens die vielleicht vorher strikt getrennten Bereiche gegenüber öffnen und miteinander kooperieren. Die digitale Transformation macht klar, dass ein Silodenken und vor allem ein nebeneinander stattfindendes Arbeiten nicht mehr zukunftsfähig ist. So schnell sich die Bedürfnisse der Kunden ändern, so schnell ändern sich auch die Anforderungen an die Unternehmen. Dies geht Hand in Hand mit der Notwendigkeit, sich entsprechend schnell anzupassen und auch innovativer zu denken sowie zu handeln. Das mag bei der Testung einer Idee noch relativ einfach klingen, bei der Erstellung entsprechender digitalen Lösungen, die ein hohes Maß an Miteinbeziehung von Software mit sich bringt, birgt dies wiederum eine andere Wertigkeit. Denn das Fachwissen der jeweiligen Teams ist nicht nur am Arbeitsmarkt derzeit schwer zu finden, sondern auf Grund des hohen Bedarfs an IT-Fachkräften auch schwer zu halten.
Dass die Logistikbranche dabei nicht nur um jeden Kunden, sondern auch um jeden Euro Umsatz kämpft, ist unbestritten. Innerhalb der Logistik lässt sich bekanntlich keine hohe Marge erzielen. Umso stärker zeichnen sich die Herausforderungen im Hinblick auf Investments in die Digitalisierung ab.
Wenn aus Mitbewerbern eine Gemeinschaft wird
Somit ist es nicht verwunderlich, dass es vor knapp einem Jahr, am 26. Oktober 2021, in der Logistikbranche einen (positiven) Knall gegeben hat. Dachser, DB Schenker, duisport und Rhenus haben gemeinsam verkündet, dass sie die Digitalisierung in Logistik und Supply Chain Management auf Basis von Open Source Software innerhalb der Open Logistics Foundation vorantreiben und somit zusammenarbeiten werden. Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, logistische Prozesse durch De-facto-Standards zu vereinheitlichen. Unterstützt in diesem Vorhaben werden sie dabei von Fraunhofer IML. Die Idee selbst wurde Mitte 2020 geboren.
Doch was genau bedeutet Open Source Software?
Grundsätzlich beschreibt der Begriff „Open Source“ die Quelloffenheit von Software und Softwarekomponenten. Das bedeutet, dass der zugehörige Quellcode von jeder Person eingesehen, verändert, weitergegeben und genutzt werden kann. Open Source Software ist somit von der proprietären bzw. Closed Source Software zu unterscheiden, deren Quellcode nicht öffentlich zugänglich ist. Insbesondere Softwareentwickelnde bevorzugen Open Source Software, weil sie u. a. deren Wiederverwendbarkeit und Integrierbarkeit schätzen. Dabei ermöglicht quelloffene Software auch die individuelle Analyse der Funktionalität und Sicherheit. Jedoch ist Open Source Software nicht lizenzfrei. Es existieren über 80 von der Open Source Initiative anerkannte Open Source Lizenzen, mit unterschiedlich strengen Lizenzbedingungen. Diese schreiben, je nach Lizenztyp, genau vor, in welchem Umfang die Software genutzt werden darf und welche Obligationen (z. B. Hinweispflichten) mit der Nutzung einhergehen. Open Source Software ist in der Regel entgeltfrei zugänglich. Softwarehersteller vermarkten hingegen die zugehörigen Softwaredienste sowie Support und finanzieren sich durch Unterstützungsleistungen in der Installation, Verwendung und Fehlerbehebung der jeweiligen Software.
Wie funktioniert dieses Prinzip für die Logistikbranche?
Die Vereinigung Open Logistics Foundation eröffnet dabei die Möglichkeit, alles gemeinsam zu entwickeln, was für den Einzelnen nicht als Wettbewerbsvorteil, sondern nur als lästiger Aufwand gewertet wird. Dabei bildet das Kernstück das für jeden zugängliche Repository, eine digitale Bibliothek, mit allen Tools, Schnittstellen und Projekten, an denen die Foundation arbeitet.
So soll eines der ersten Projekte ein elektronischer Frachtbrief sowie eine gemeinsame App für alle LKW-Fahrer sein, die bisher unter den vielen bestehenden Programmen, die derzeit am Markt sind, besonders leiden.
Die Foundation umfasst derzeit 16 Mitglieder, die sich in fünf Gründungsmitglieder als strategische Mitglieder und elf Mitglieder als Lösungsmitglieder unterteilen. Die Community, die sich seitens der Mitgliedsfirmen aktiv beteiligt, entscheidet dabei, welche Probleme gelöst werden.
Die dafür nötige Arbeitszeit muss ihnen wiederum das Unternehmen gewähren und aktiv zusprechen. Die Angst, dass man dadurch einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil ausspricht, ist jedoch nicht gegeben. Durch die gemeinsame Lösungsfindung von gemeinsam bestehenden Problemen, sind entscheidende Innovationen, die den Wettbewerbsvorteil befördern, nicht mit eingeschlossen. Man kann sich dies so vorstellen: man arbeitet und entwickelt gemeinsam an einem einheitlichen Fundament, aber den Feinschliff und die Weiterentwicklung, die auf dem Fundament basiert, übernimmt dann jedes Unternehmen wieder für sich selbst. So hat man die geteilten Kosten und den Nutzen für das Fundament und kann das Investment für die Entwicklung von Innovationen sowie die Einbringung der eigenen sensiblen Unternehmensdaten besser skalieren und einsetzen. Eine Win-Win-Situation für alle beteiligten Unternehmen.
So lernt die Community ebenfalls Probleme aus den Blickwinkeln anderer Unternehmen aktiv kennen und lernt viel Neues, das auch in Hinblick auf eigene Endkunden von Nutzen sein kann.
Ein Ausblick
Nun klingt das Vorhaben der Open Logistics Foundation zunächst einmal spannend und durchaus sinnstiftend. Doch was genau möchte diese Foundation erreichen? In einem im April 2022 veröffentlichten Statement wurde der Weg aufgezeigt, wohin eine solche Kooperation führen kann: innerhalb der bereits oben erwähnten Repository wurden die Forschungsergebnisse in Form von Soft- und Hardwareentwicklungen von fünf Entwicklungsprojekten veröffentlicht.
Gemäß der Pressemitteilung vom Fraunhofer IML am 07. April 2022 umfassen die Komponenten folgendes: „Die fünf veröffentlichten Komponenten sind beispielsweise ein Service zur Erzeugung, Speicherung und Weitergabe von digitalen Frachtbriefen in menschen- und maschinenlesbarem Format, unter Berücksichtigung etablierter Vorlagen und internationaler Standards konzipiert und als Referenzimplementierung umgesetzt. Weitere Komponenten bieten Lösungen zur Integration von IoT-Geräten und der Aufbereitung von Daten für die Nutzung durch andere Dienste sowie zur Digitalisierung von Einfuhrprozessen in der Luftfracht-Frischelogistik. Die Softwarebibliothek der »IDS Integration Toolbox« vereinfacht darüber hinaus die Integration von Komponenten für die International Data Spaces (IDS) in IT-Systeme. Davon profitieren vor allem kleine und mittlere Unternehmen: Sie sind nicht mehr auf Spezialisten mit besonderen Kenntnissen des IDS-Referenzarchitekturmodells angewiesen, um sich mit den sicheren Datenräumen zu verbinden.“
Das Gesamtprojekt wird als „Silicon Economy“ betitelt und soll im Gegensatz zum „Silicon Valley“, das von dominierenden Monopolen gezeichnet ist, stehen. Ziel der Silicon Economy ist es, dass nicht nur das Land Deutschland moderner und digitaler gestaltet werden soll, sondern, dass neue international gültige Standards für die Logistik selbst geschaffen werden. Daher sind die gesammelten Daten auch für die weltweit agierenden Unternehmen frei verfügbar. Damit soll es möglich sein, in Zukunft die Digitalisierung sämtlicher Geschäftsprozesse entlang der Lieferkette zu ermöglichen.
Diese aktive gemeinsame Kooperation bzw. das Konzept der Gemeinschaftlichkeit kann dabei eine grundsätzliche Lösung nicht nur für die teilnehmenden Unternehmen, sondern auch für europäische und weltweite Ansätze bilden. Statt weiter allein entsprechende Investments loszulösen, kann eine Kooperation zwischen Wettbewerbern in gemeinschaftlich existierenden Problemen durchaus gewinnbringend und für branchenübergreifende Innovationen sorgen. Erste Logistikunternehmen aus beispielsweise Österreich und Spanien zeigen bereits Interesse, sich aktiv an der Open Source Foundation Organisation zu beteiligen. Somit könnten die Kräfte entsprechend gebündelt werden, um sich auch gegenüber amerikanischen Wettbewerbern, wie beispielsweise Amazon, zu behaupten und spannende Innovationen zu fördern.
Autorin: Nadine Mastera-Scamporlino
Quellen:
https://www.iml.fraunhofer.de/de/presse_medien/pressemitteilungen/open-source-repository.html
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/300692/umfrage/sendungsmenge-pakete-in-oesterreich/