Vom Verschwinden toller Kundenerlebnisse

Halbherzige Digitalisierung und die kühle Mathematik der Demografie machen sich mittlerweile überall bemerkbar:

Ein Freund erlebte bei seinem Abflug nach Portugal Interessantes: Obwohl er zwei Stunden vor Abflug am Check-in der vermeintlichen Billigairline stand, war dieser so unterbesetzt, dass ein Großteil der dort angestellten Passagiere den Flug verpasste. Eine Umbuchung war nicht möglich, weil ja der Kunde den Flug versäumt hatte. Das in letzter Sekunde aufgegebene Gepäck konnte vom Flughafen zuerst nicht lokalisiert werden. Als dann feststand, dass es Wien nicht verlassen hatte, meinten die Flughafenmitarbeiter:innen, dass mein Bekannter den Koffer im Zeitraum von “in zehn Minuten bis vielleicht auch erst in drei Tagen” auf Gepäckband Nr. 10 in Empfang nehmen könne, er möge sich erstmal hinsetzen. Einen Alternativflug musste er sich selbst suchen. Nachdem er diesen bei einer Konkurrenz-Airline gebucht hatte, stellte er fest, dass die ursprüngliche Airline ebenfalls einen Flug gehabt hätte, zu dem es auch noch Tickets gab – niemand hatte ihm dies trotz Nachfrage gesagt. Emotionslose Mitarbeiter:innen, die offensichtlich täglich Teil dieses Spektakels waren, bemühten sich nicht mal mehr um Lösungen und schienen die eigene Frustrationsgrenze schon lange überschritten zu haben.

 

Besonderes Pech? Nein!
In den nächsten Jahren prognostizieren Expert:innen einen massiven Rückgang in der Qualität von Kundenerlebnissen – vom Restaurant zur Fluglinie, vom edlen Juwelier zum Autohaus und zur Essenszustellung.

B2C Kund:innen werden ebenso genervt sein wie B2B und D2C Abnehmer:innen.
Expert:innen warnen davor, dass wir vor dem Zeitalter des schlechtesten Kundenservices stehen.

Schuld daran sind zuerst sozioökonomische Faktoren am Arbeitsmarkt, die sich immer stärker auswirken. In Österreich etwa gibt es für 10 offene Stellen nur noch 8 Österreicher:innen, die für diese in Frage kämen – die kühle Mathematik der Demografie schlägt nun immer mehr zu – die restriktive Integrationspolitik besorgt den Rest. Zwar sagen Expert:innen eine bevorstehende Entspannung am Arbeitsmarkt voraus, da wohl wieder mehr Menschen krisenbedingt Jobs benötigen, doch diese Perspektive ist nicht wirklich wünschenswert und ändert nichts an den demografischen Rahmenbedingungen.

Demografie wäre allein problematisch, doch Veränderungen in der Arbeitswelt und der allgemeine Wohlstandsverlust tun das Übrige. Immer weniger Menschen können selbst mit voller Erwerbstätigkeit jene Ziele erreichen, die für die Generationen davor erstrebenswert waren (Wohnungskauf, Ferienhaus, regelmäßige Urlaube) und die den „emotionalen“ Motor der Leistungsgesellschaft antrieben. Die nachlassende Bereitschaft, im Bereich Customer Experience „das Beste“ zu geben, während auf jede:n Einzelne:n neben der bloßen Kundenbetreuung immer mehr administrative Aufgaben zukommen und gleichzeitig so gut wie alle Bereiche von Krankenhaus bis Flughafenlogistik schwerst unterbesetzt sind, wird sich somit immer stärker bemerkbar machen.

Umdenken ist gefragt

Was hilft, ist schon seit Jahren bekannt: Unternehmen sollten radikaler als bisher bestehende Prozesse überdenken und so gut wie überall digitale End-to-End Systeme einsetzen – ihrer Kund:innen, aber auch ihrer Mitarbeiter:innen zuliebe. Denn während noch vor drei Jahren die Angst umging, dass der Roboter den Menschen ersetzen würde, sagen uns jetzt Kund:innen, dass ihre Mitarbeitenden den Roboter aka Digitalisierung dringend benötigen, um so gut wie alles zu automatisieren, was nicht notwendigerweise vom Menschen gemacht werden muss. Nur so ließe sich die permanente Überforderung der Kolleg:innen eingrenzen und wieder Zeit für Kund:innen (und Freude an der Arbeit) schaffen.

Die Realität zeigt leider das Gegenteil. Eine oft überforderte IT, die mit denselben Ressourcenproblemen zu kämpfen hat wie alle anderen Bereiche, hat alle Hände voll zu tun, bestehende Prozesse am Laufen zu halten, Altsysteme abzulösen, Reports und Analysen zu ziehen und Anforderungen der Fachabteilungen irgendwie zu managen. Die knappen Ressourcen erlauben so gut wie keinen Handlungsspielraum – außer bei jenen, die früh auf Digitalisierung gesetzt, entsprechende strategische Gesamtlogiken, Datenmodelle und IT-Architekturen vorbereitet haben.

Jede Krise birgt eine Chance und noch ist es in kaum einer Branche zu spät für gute digitale Kundenerfahrungen. Aber wie immer ist Timing von extremer Bedeutung. Kund:innen bewegen sich „magisch“ zur jeweils bequemsten digitalen Lösung – und lassen sich dann nur noch schwer davon wegbewegen. Jede schlechte Kundenerfahrung beschleunigt diesen Prozess, jede Enttäuschung frustriert Kund:innen und Mitarbeiter:innen weiter. Das Zeitalter der schlechten Kundenerfahrung ist daher gleichzeitig das Zeitalter, in dem sich immer mehr digitale Lösungen von Start-ups und Nischenplayern durchsetzen werden. Jetzt darauf vorbereitet zu sein, bedeutet in der Lage zu sein, die Kundenabwanderung zu solchen Anbietern zu verhindern. Das „Zeitalter der schlechten Kundenerfahrung“ ist daher auch die Zeit, in der digitale Innovationen besonders belohnt werden. Wir sollten diese Zeit nutzen.

 

Autor: Andreas Hladky

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